Genetisches “Täterprofil” für besonders aggressive Hirntumorzellen
Forschende des Universitätsklinikums Heidelberg und des Deutschen Krebsforschungszentrums haben eine genetische Signatur identifiziert, die für bestimmte Tumorzellen von Glioblastomen typisch ist. Diese besonders aggressiven Nervenzellen vernetzen sich untereinander und verleihen den Hirntumoren ihre enorme Widerstandskraft gegenüber Therapien. Dank der Gensignatur lässt sich zukünftig die Wirkung neuer Therapien besser überprüfen. Zudem deckt sie bisher unbekannte, mögliche Schwachstellen der Tumorzellen auf.
Eine besondere Eigenschaft seiner Tumorzellen macht Glioblastome bislang unheilbar: Sie schwärmen aus, vernetzen sich und durchziehen das Gehirn mit einem Geflecht aus hauchdünnen Zellverbindungen. Diese „Versorgungsrouten" erhalten den Hirntumor selbst dann am Leben, wenn der größte Teil chirurgisch entfernt, der Rest bestrahlt und mit Medikamenten behandelt wurde. Nun haben Forschende der Medizinischen Fakultät Heidelberg der Universität Heidelberg und des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) erstmals ein genetisches Profil erstellt, mit dem sie die „Netzwerkzellen" eindeutig von anderen Zellen des Tumors unterscheiden können. Die Signatur besteht aus 71 Genen, bestimmten Abschnitten auf dem Erbgut, die signifikant häufiger in den Tumorzellen abgelesen werden, sobald und solange sich diese Zellen vernetzen. Dieses Wissen öffnet die Tür zu einer deutlich gezielteren Erforschung von dringend benötigten neuen Therapien.
„Der genetische Steckbrief für vernetze Tumorzellen ist ein entscheidender Schritt nach vorn, sowohl für das Verständnis und die weitere Erforschung dieser aggressiven Krebsart, als auch für mögliche zukünftige Therapien", sagt Wolfgang Wick, Ärztlicher Direktor der Neurologischen Klinik des Universitätsklinikums Heidelberg (UKHD) und Leiter der Klinischen Kooperationseinheit „Neuroonkologie" von UKHD und DKFZ sowie Sprecher des Sonderforschungsbereichs 1389 „UNITE GLIOBLASTOMA, in dem die nun veröffentlichte Arbeit entstand. „Wichtiges Ziel neuer Therapien ist es, die Vernetzung der Glioblastomzellen zu stören oder zu verhindern. Mit der Gensignatur können wir nun erstmals zuverlässig überprüfen, ob Medikamente beim Patienten entsprechend wirken."
Momentaufnahme des Bindungsstatus der Glioblastomzellen
Dabei kommt den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zugute, dass die charakteristische Signatur deutlich stärker auftritt, wenn die Tumorzellen auch tatsächlich untereinander vernetzt sind. Entfernten sie im Experiment die Verbindungen zwischen lebenden Glioblastomzellen, veränderte sich auch deren genetische Aktivität, die Signatur war entscheidend reduziert. „Wir gehen davon aus, dass die Gensignatur eine Momentaufnahme des Bindungsstatus der Glioblastomzellen zum Zeitpunkt der Probennahme darstellt", erläutert Tobias Kessler, Oberarzt der Neurologischen Klinik am UKHD. „Damit kann sie Auskunft darüber geben, ob ein Medikament, das wir vor der Operation oder der Entnahme einer Gewebeprobe verabreichen, die Fähigkeit zur Vernetzung beeinflusst."
Die neuen Erkenntnisse führten bereits zu einer deutschlandweit durchgeführten Studie des UKHD und des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg: Bis zu 66 Patientinnen und Patienten mit erneut herangewachsenem Glioblastom (Rezidiv) erhalten 30 Tage vor ihrer Operation entweder ein bestimmtes Epilepsie-Medikament, das möglicherweise die Tumorzellen beim Ausschwärmen und anschließenden Vernetzen behindern könnte, oder ein Placebo. Ob dieser Ansatz erfolgreich ist, wird sich nach der Operation zeigen: Die entnommenen Tumorzellen werden daraufhin untersucht, ob sie die entsprechende Gensignatur aufweisen.
Ein in der Signatur enthaltenes Gen könnte darüber hinaus eine besondere Rolle beim aggressiven Wachstum der Glioblastome spielen und sich als Angriffspunkt neuer Therapien eignen: Dieses Gen (CHI3L1) mit dem darauf kodierten Proteinbauplan wird in vernetzten Glioblastomzellen besonders häufig abgelesen, entsprechend wird die Bildung des CHI3L1-Proteins stark angekurbelt. „Dieses Gen hatten wir bisher bei Glioblastomen noch nicht im Blick, aber bei anderen Tumorarten wie Brust-, Bauchspeicheldrüsen- und Lungenkrebs markiert es besonders aggressives Wachstum", erklärt Erstautor Dirk Hoffmann von der Klinischen Kooperationseinheit (KKE) am DKFZ. Je mehr CHI3L1-Protein gebildet wird, desto aggressiver die Tumoren. Aktuell wird in Studien untersucht, ob gegen CHI3L1 gerichtete Medikamente beim Lungenkrebs das Tumorwachstum verlangsamen können. „Wenn sich dieser Ansatz als erfolgreich erweist, könnte das auch eine Option für die Therapie beim Glioblastom sein", ergänzt Ling Hai, ebenfalls Erstautorin der Studie und Mitarbeiterin der KKE.
Die Prognose für Patientinnen und Patienten mit Glioblastom ist trotz stetig weiterentwickelter Therapiestrategien nach wie vor sehr schlecht: Selbst mit Hightech-Operationsverfahren kann der netzartig ins Gehirn einwachsende Tumor meist nicht vollständig entfernt werden und kehrt trotz kombinierter Strahlen- und Chemotherapie oft bereits innerhalb eines Jahres zurück. Betroffene überleben nach der Diagnose im Durchschnitt weniger als zwei Jahre.
Hai, L., Hoffmann, D.C., Wagener, R.J. et al. A clinically applicable connectivity signature for glioblastoma includes the tumor network driver CHI3L1.
Nature Communication, 2024 https://doi.org/10.1038/s41467-024-45067-8. https://www.nature.com/articles/s41467-024-45067-8
Quelle: Universitätsklinikum Heidelberg
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