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Immunsystem mit Zeitschaltuhr

Nr. 04b | 01.02.2017

Wissenschaftler vom Deutschen Krebsforschungszentrum und vom Universitätsklinikum Heidelberg entdeckten einen bislang unbekannten Rückkopplungsmechanismus des menschlichen Immunsystems. Er zeigt, wie das angeborene Immunsystem bei einer Virusinfektion schnell aktiviert, aber nach einigen Stunden auch wieder langsam gebremst wird. Auf diese Weise wird eine überschießende Immunreaktion mit Zellschäden verhindert. Die Ergebnisse wurden nun in der Zeitschrift „Molecular Cell" veröffentlicht.

Beginn und Ende einer Immunreaktion: Der Rezeptor RIG-I erkennt die Erbinformation von Viren, bindet an die Virus-RNA und schüttet antivirale Botenstoffe aus (grüner Pfeil). Diese Stoffe aktivieren das erworbene Immunsystem. Mit Zeitverzögerung wird auch das Enzym DAPK1 aktiviert, das verhindert, dass es zu einer überschießenden Immunreaktion kommt.
© Dr. Marco Binder

Infizieren Viren, z.B. Influenza („Grippe")- oder Hepatitis-C-Viren, eine Zelle, reagiert das angeborene Immunsystem des Menschen sofort: Es schüttet Botenstoffe aus, die umliegende Zellen warnen, eine Entzündungsreaktion auslösen und das erworbene Immunsystem aktivieren. Heidelberger Wissenschaftler haben jetzt einen Mechanismus entdeckt, der diese Abwehrkaskade wieder bremst und damit langfristig Zellschäden und möglichen Autoimmunerkrankungen vorbeugt: Ein Sensor für Infektionen mit so genannten RNA-Viren ist der Rezeptor RIG-I (retinoic acid inducible gene I), der das Erbgut der Viren an seiner speziellen Struktur erkennt, bindet und dann Abwehrreaktionen auslöst. Circa acht Stunden nach der Infektion aktiviert RIG-I auch seinen eigenen Gegenspieler: DAPK1 (death associated protein kinase 1), ein schon länger bekanntes Enzym, das – wie der Name schon sagt – destruktiv wirkt. Das Enzym inaktiviert RIG-I, so dass es RNA-Viren nicht mehr erkennen kann. Die Abwehr wird gebremst. Die Ergebnisse seiner Arbeitsgruppe konnte Dr. Marco Binder - vormals Stipendiat der Medizinischen Fakultät Heidelberg am Zentrum für Infektiologie, jetzt Arbeitsgruppenleiter am DKFZ – nun in der Fachzeitschrift „Molecular Cell" veröffentlichen.

Interessanterweise verfügt dieser Regulationsmechanismus über eine Art Zeitschaltuhr, die dafür sorgt, dass RIG-I zunächst ungebremst die Verteidigung gegen die Viren vorantreiben kann. Die aktuelle Studie zeigte am Beispiel von Influenzaviren, die menschliche Zellen infizierten, dass DAPK1 erst circa acht Stunden nach der Infektion aktiviert wird. „Sobald DAPK1 voll aktiv ist, sehen wir, wie im Gegenzug das antivirale Abwehrprogramm langsam wieder heruntergefahren wird. Im weiteren Verlauf unserer Forschung konnten wir zeigen, dass dies nicht nur eine zufällige zeitliche Korrelation war, sondern ursächlich zusammenhängt", sagt Dr. Marco Binder. Ohne eine solche Gegenregulation des Körpers würde es zu einer überschießenden Ausschüttung von Botenstoffen der angeborenen Immunabwehr kommen, was zellschädigende Entzündungen und langfristig Autoimmunerkrankungen auslösen kann.

Hepatitis C-Infektion und Leberkrebs: DAPK1 könnte Tumorwachstum fördern

Die neuen Erkenntnisse könnten einen Hinweis darauf geben, warum eine chronische Infektion mit Hepatitis C-Viren bei einigen Patienten zu Leberkrebs führt. Hepatitis C-Viren gelingt es, die körpereigene Abwehr zu überlisten und sich dauerhaft in Leberzellen einzunisten. Der Sensor RIG-I bleibt dabei fortwährend aktiv und könnte auf diese Weise auch DAPK1 permanent aktivieren. „Aktuelle Studien zeigen, dass bei bestimmten sehr aggressiven Tumoren eine Aktivierung von DAPK1 das Tumorwachstum massiv fördert", fasst Dr. Marco Binder zusammen. „Wenn bei einer chronischen Hepatitis C-Infektion die ständige, latente Aktivierung von DAPK1 mit bestimmten genetischen Defekten zusammentrifft, ist das, als ob man Öl ins Feuer gießt." In Zukunft wollen die Forscher die Frage klären, ob beispielsweise ein Zusammenhang mit einem Defekt im p53-Gen besteht, das als „Wächter des Genoms" wichtig für die DNA-Reparatur ist.

Die Heidelberger Wissenschaftler kamen dem neuen Regelkreis auf die Spur, indem sie in menschlichen Zellkulturen nacheinander alle bekannten 719 menschlichen Kinase-Gene gentechnisch ausschalteten. Dabei stellten sie fest, dass die Kinase DAPK1 das antivirale Programm der Zelle messbar bremst, indem es eine Phosphatgruppe auf RIG-I überträgt. Die Phosphorylierung inaktiviert das RIG-I und die Viren konnten sich ungebremst vermehren.

Literatur:
Willemsen et al. (2017): Phosphorylation-Dependent Feedback Inhibition of RIG-I by DAPK1 Identified by Kinome-wide siRNA Screening. Molecular Cell 2017. http://dx.doi.org/10.1016/j.molcel.2016.12.021

Weitere Informationen im Internet:
http://www.dkfz.de/de/virus-assoziierte-karzinogenese/groups/AGBinder/index.html

Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, Interessierte und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.

Um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Patientinnen und Patienten zu verbessern, betreibt das DKFZ gemeinsam mit exzellenten Universitätskliniken und Forschungseinrichtungen in ganz Deutschland Translationszentren:

  • Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT, 6 Standorte)
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  • Hopp-Kindertumorzentrum (KiTZ) Heidelberg
  • Helmholtz-Institut für translationale Onkologie (HI-TRON) Mainz – ein Helmholtz-Institut des DKFZ
  • DKFZ-Hector Krebsinstitut an der Universitätsmedizin Mannheim
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Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.

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