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Explosion im Genom verursacht Hirntumoren

Nr. 02 | 20.01.2012 | von Koh

Eine Veränderung im Gen für das Protein p53, dem „Wächter des Genoms“, führt zu einer geradezu explosionsartigen Umlagerung großer Teile des Erbguts von Krebszellen. Heidelberger Wissenschaftler aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und dem European Molecular Biology Laboratory (EMBL) entdeckten dies an einer besonders aggressiven Gruppe von Hirntumoren bei Kindern. Die Chromosomen-Explosion lässt Zellen offenbar besonders leicht zu Krebs entarten. Diese Ergebnisse veröffentlichten die Forscher in der neuesten Ausgabe der Zeitschrift „Cell“.

Eine erbliche Veränderung im p53, dem „Wächter des Genoms“, ist möglicherweise die Ursache für explosionsartige Umlagerungen im Erbgut.
© EMBL / P. Riedinger

Menschen mit ererbten Defekten im Gen für das Protein p53 durchleben oft eine jahrzehntelange Leidensgeschichte: Häufig erkranken sie im Laufe ihres Lebens an mehreren verschiedenen Krebsarten. Ihnen mangelt es an intaktem p53, dem so genannten „Wächter des Genoms“. Dieses Protein hält nach Erbgutschädigung die Zellteilung auf, so dass die Zelle Zeit gewinnt, die DNA-Defekte zu reparieren. Sind die Schäden irreparabel, so sorgt p53 dafür, dass der Zelltod (Apoptose) eingeleitet wird.

Auch ein kleines Mädchen, das an einem besonders aggressiven Hirntumor („SHH-Medulloblastom“) erkrankt war, hatte eine erbliche Veränderung im p53. Als Wissenschaftler um Prof. Peter Lichter aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ), Dr. Stefan Pfister vom DKFZ und vom Universitätsklinikum Heidelberg, sowie Dr. Jan Korbel aus dem European Molecular Biology Laboratory das Tumorerbgut der kleinen Patientin entzifferten, wurden sie von einem beispiellosen Chaos überrascht: Abschnitte einzelner Chromosomen waren an unzähligen Stellen zerbrochen und regelwidrig wieder zusammengebaut worden, so dass ganze Erbgutabschnitte fehlten, andere dagegen vervielfältigt oder in falscher Orientierung eingebaut waren. Dieses Schadensbild unterscheidet sich von bisher bekannten Erbgutdefekten in Tumorzellen.

Ein solches Desaster im Erbgut bezeichnen Wissenschaftler mit dem Begriff  Chromothripsis. Das erst kürzlich entdeckte Phänomen tritt bei etwa zwei bis drei Prozent Prozent aller Krebserkrankungen auf. Es entsteht wahrscheinlich durch ein einzelnes Ereignis in der Zelle, das die Chromosomen geradezu explodieren lässt. Eine allmähliche Anhäufung einzelner Mutationen, wie man sie von den meisten Krebserkrankungen kennt, kann ein solches Durcheinander nicht erklären.

Die Heidelberger Forscher unterzogen daraufhin Gewebeproben von 98 Medulloblastomen einer Erbgutanalyse. In 13 der 98 Proben entdeckten sie das für Chromothripsis typische Chromosomen-Chaos. 11 dieser 13 Proben stammten von den besonders aggressiven SHH-Medulloblastomen. Unter diesen 11 fanden die Forscher in 10 Fällen Mutationen im Gen für p53, die größtenteils erblich bedingt waren.

„Bei allen Patienten mit einem ererbten p53-Defekt finden wir das Chromosomen-Chaos in den Krebszellen. Dagegen weist keine Tumorprobe mit intaktem p53-Gen das Schadensmuster auf – der Zusammenhang ist hoch signifikant“, erklärt Peter Lichter. „Eine p53-Mutation prädisponiert die Zelle offenbar für Chromothripsis. Allerdings wissen wir noch nicht, ob die Mutation die Chromosomen anfälliger und zerbrechlicher macht oder aber ob sie die Zelle trotz Chromosomen-Chaos am Leben erhält. Eigentlich wäre der Zelltod die normale Reaktion auf so massive Erbgutschäden“, ergänzt sein Kollege Jan Korbel.

Eine derartige Häufung von Chromothripsis bei einer einzelnen Krebsart war bislang nicht bekannt, ebenso wenig ein Zusammenhang zwischen Chromothripsis und einem bestimmten Gendefekt. „Wir prüfen daher, ob wir nicht in Zukunft bei allen Patienten mit SHH-Medulloblastomen nach erblichen p53-Mutationen suchen sollen“, sagt Stefan Pfister, der neben seiner Forschung im DKFZ auch als Kinderarzt im Universtätsklinikum Heidelberg tätig ist. „Liegt eine solche Mutation vor, so haben die Betroffenen, möglicherweise auch deren Angehörige, ein besonders hohes Krebsrisiko – ohne davon zu wissen. Entdecken wir einen erblichen p53-Defekt, so können wir engmaschige Früherkennungsuntersuchungen empfehlen, um mögliche Tumoren rechtzeitig in einem besser behandelbaren Stadium zu entdecken.“

Noch ein weiterer Grund spricht dafür, bei Patienten mit SHH-Medulloblastomen nach erblichen p53-Mutationen zu fahnden: Liegt eine solche Mutation vor, so ist besondere Vorsicht bei der Wahl der Behandlungsmethoden geboten, denn Strahlentherapie und auch einige Zytostatika wirken, indem sie das Erbgut schädigen. Bei Menschen mit ererbtem p53-Defekt ist die DNA-Reparatur jedoch in allen Körperzellen beeinträchtigt, so dass therapiebedingte DNA-Schädigungen leicht zu weiteren Krebserkrankungen führen könnten.

Nach ihrer Entdeckung bei SHH-Medulloblastomen suchten die Heidelberger Forscher auch bei anderen Krebserkrankungen, für die Genom-Daten vorliegen, nach einem Zusammenhang zwischen p53-Mutationen und Chromothripsis. Tatsächlich fanden sie das chaotische Chromosomenmuster auch bei der akuten myeloischen Leukämie (AML) in etwa der Hälfte aller Fälle, die eine p53-Mutation aufwiesen.

Die Genomanalyse der Medulloblastome ist Bestandteil des Forschungsprojekts „PedBrain-Tumor“, einer deutschen Beteiligung am Internationalen Krebsgenom-Konsortium (ICGC). Der internationale Verbund von Wissenschaftlern aus 12 Ländern hat zum Ziel, die charakteristischen Genveränderungen bei allen wichtigen Krebserkrankungen zu erfassen. In Deutschland haben Wissenschaftler aus sieben Institutionen unter der Federführung von Peter Lichter (DKFZ) die Analyse von kindlichen Hirntumoren (Medulloblastomen und pilozytischen Astrozytomen) übernommen.

„Dass Mutationen im p53-Gen eine Rolle bei der Entstehung von Chromothripsis spielen, hätten wir ohne die Kombination aus klinischer Expertise und der Krebsgenom-Analyse nie entdeckt“, so Peter Lichter. „Die Sequenzierung ganzer Krebsgenome wird uns in Zukunft immer mehr Einblicke in die molekulare Entstehungsgeschichte vieler Krebserkrankungen verschaffen, so dass wir bessere und gezieltere Therapien entwickeln können.“

Tobias Rausch, David T.W. Jones, Marc Zapatka, Adrian M. Stütz, Thomas Zichner, Joachim Weischenfeldt, Natalie Jäger, Marc Remke, David Shih, Paul A. Northcott5, Elke Pfaff, Jelena Tica, Qi Wang, Luca Massimi, Hendrik Witt, Sebastian Bender, Sabrina Pleier, Huriye Cin, Cynthia Hawkins, Christian Beck, Andreas von Deimling, Volkmar Hans, Benedikt Brors, Roland Eils, Wolfram Scheurlen, Jonathon Blake, Vladimir Benes, Andreas E. Kulozik, Olaf Witt, Dianna Martin, Cindy Zhang, Rinnat Porat, Diana Merino, Jonathan Wasserman, Nada Jabado, Adam Fontebasso, Lars Bullinger, Frank Rücker, Konstanze Döhner, Hartmut Döhner, Jan Koster, Jan J. Molenaar, Rogier Versteeg, Marcel Kool, Uri Tabori, David Malkin, Andrey Korshunov, Michael D. Taylor, Peter Lichter, Stefan M. Pfister und Jan O. Korbel: Genome sequencing of pediatric medulloblastoma links catastrophic DNA rearrangements with TP53 mutations in cancer.
Cell, January 19, 2012, DOI: 10.1016/j.cell.2011.12.013.

Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, Interessierte und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.

Um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Patientinnen und Patienten zu verbessern, betreibt das DKFZ gemeinsam mit exzellenten Universitätskliniken und Forschungseinrichtungen in ganz Deutschland Translationszentren:

  • Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT, 6 Standorte)
  • Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK, 8 Standorte)
  • Hopp-Kindertumorzentrum (KiTZ) Heidelberg
  • Helmholtz-Institut für translationale Onkologie (HI-TRON) Mainz – ein Helmholtz-Institut des DKFZ
  • DKFZ-Hector Krebsinstitut an der Universitätsmedizin Mannheim
  • Nationales Krebspräventionszentrum (gemeinsam mit der Deutschen Krebshilfe)
Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.

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