Aktiv werden gegen Krebs
Regelmäßiger Sport verringert das Risiko, an bestimmten Krebsarten zu erkranken, und unterstützt zudem die Therapie – das zeigen Studien der Abteilung von Karen Steindorf.
Karen Steindorf, Leiterin der Abteilung Bewegung, Präventionsforschung und Krebs, und ihre Mitarbeiter sind durchweg bewegungsfreudige Menschen. Den letzten Abteilungsausflug etwa verbrachten die Wissenschaftler mit Stand Up Paddling: Auf langen Surfbrettern stehend und mit einem Paddel ausgerüstet glitten sie über einen der Seen in Heidelbergs Umgebung. Dass sie den Weg dorthin per Drahtesel zurücklegten, ist Ehrensache für das Team. „Die meisten im Team kommen sowieso das ganze Jahr über mit dem Fahrrad zur Arbeit", erzählt Steindorf.
Der Hang zur körperlichen Aktivität im Team verwundert nicht. Denn die DKFZ-Forscher wissen: Regelmäßiger Sport senkt das relative Risiko für einige Krebserkrankungen um bis zu 40 Prozent. „Für Darmkrebs, Brustkrebs nach den Wechseljahren und Gebärmutterkopfkrebs ist das wissenschaftlich gesichert", sagt Steindorf. „Außerdem haben wir Hinweise darauf, dass das auch für Lungen- und Prostatakrebs sowie für Krebs der Bauchspeicheldrüse gilt." Auf das Thema Sport und Krebs sei sie eher zufällig gestoßen, verrät die Wissenschaftlerin. Nach ihrem Studium der Statistik und der theoretischen Medizin begann sie, als Epidemiologin zu forschen. Ihr Weg führte sie dabei in die USA, ans National Cancer Institute in Bethesda, Maryland, und ans Deutsche Krebsforschungszentrum nach Heidelberg, wo sie auch promovierte. Hier begann sie, sich mit dem Effekt von Bewegung auf das Krebsrisiko zu beschäftigen. „Wir forschten damals gemeinsam mit Wissenschaftlern aus Polen über den Einfluss der Ernährung auf das Brustkrebsrisiko", erinnert sie sich. Beim Auswerten der Daten fiel ihr auf, dass die körperliche Aktivität einen viel größeren Effekt hatte. „Für Darmkrebs gab es damals schon Hinweise auf einen solchen Zusammenhang – da hat mich das Thema gepackt."
Von da an blieb die Wissenschaftlerin dran an diesem Aspekt der Krebsforschung – obwohl viele Kollegen anfangs skeptisch waren: Sollte der Effekt wirklich vom Sport selbst herrühren oder war es nicht vielmehr so, dass aktive Menschen schlicht einem gesünderen Speiseplan folgen als Couch Potatoes, und so der Schutz letztlich doch vom Essen kam? Doch solche Einwände kann Steindorf entkräften: „Wir verfügen in der Epidemiologie durchaus über Methoden, um das klar zu trennen."
Längst interessiert sich das Team um Karen Steindorf nicht mehr nur für den Effekt von Bewegung auf die Krebsvorbeugung. Körperliche Aktivität unterstützt auch die Therapie. „Wir wissen aus Beobachtungsstudien bei Darm-, Brust- und Prostatakrebs, dass das Rückfallrisiko bei körperlich aktiven Menschen geringer ist", sagt Steindorf. Eine große kontrollierte Studie, die diese Beobachtung untermauern würde, existiert bislang jedoch noch nicht.
Sport gegen krebsbedingte Erschöpfung
Sicher nachweisen konnten die DKFZ-Forscher dagegen, dass Sport hilft, die Nebenwirkungen einer Krebstherapie abzumildern. „Das kann darüber entscheiden, ob beispielsweise ein Patient eine Chemotherapie wie geplant durchhält, und trägt somit indirekt auch zum Heilungserfolg bei", erklärt Steindorf. Um zu untersuchen, wie Bewegung die Therapieverträglichkeit und die Lebensqualität beeinflussen, schicken die Wissenschaftler ihre Probanden quasi ins Fitnessstudio. Dazu arbeitet Steindorfs Team am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg eng mit der Gruppe Onkologische Sport- und Bewegungstherapie zusammen. An speziellen Geräten erheben die Forscher die allgemeine Fitness und die Muskelkraft der Teilnehmer vor und nach der Studie. So können sie feststellen, ob das durchgeführte Training auch tatsächlich einen körperlichen Effekt bringt.
Bereits abgeschlossen sind zwei große Studien bei Brustkrebspatientinnen, die sich entweder einer Chemotherapie (BEATE-Studie) oder einer Strahlentherapie (BEST-Studie) unterziehen mussten. Dazu hat Steindorfs Team die Frauen jeweils in zwei Gruppen eingeteilt: Während die eine Hälfte der Versuchsteilnehmerinnen sich zu einem regelmäßigen gemeinsamen Entspannungstraining traf, absolvierte die andere Hälfte ein knackiges Training im Kraftraum. „Die Kraftsportgruppe litt signifikant weniger unter der belastenden Fatigue", fasst Martina Schmidt zusammen, Mathematikerin in Steindorfs Team und maßgeblich am Erfolg der Studie beteiligt. „Das bedeutet eine enorme Verbesserung der Lebensqualität für die Patientinnen während und nach der Therapie."
Das Erschöpfungssyndrom Fatigue tritt häufig als Nebenwirkung einer Chemo- oder Strahlentherapie auf, aber auch als Begleiterscheinung der Krebserkrankung selbst. Die Symptome können über lange Zeit anhalten und sind sehr belastend für die Betroffenen. Eine nachweislich wirksame Therapie gegen Fatigue existiert derzeit nicht. „Daher freuen wir uns umso mehr zu sehen, dass Sport hier einen so guten Effekt hat", sagt Schmidt.
Die Konsequenz bei einer Krebsdiagnose müsste also heißen: Jetzt erst recht! Statt sich zu schonen, sollten Betroffene spätestens jetzt körperlich aktiv werden. Leider kann das nicht jeder Krebspatient umsetzen – sei es, weil die notwendigen Informationen fehlen, sei es, weil der Schock über die Diagnose die Betroffenen eher erstarren oder innerlich durchhängen lässt, statt sie aktiv werden zu lassen. Das hat Steindorf auch in ihrem eigenen Umfeld schon erlebt: „Das ist auch persönlich manchmal schwer mit anzusehen, zeigt mir aber, wie wichtig es ist, auch diesen Aspekt zu untersuchen", sagt Steindorf. Eines ihrer laufenden Forschungsprojekte, das von der deutschen Krebshilfe gefördert wird, befasst sich daher mit den möglichen Barrieren, die Betroffene von körperlicher Aktivität abhalten.
Sport als Entzündungshemmer
Weitgehend unklar sind bislang die biologischen Mechanismen, wie Sport das Krebsrisiko senken und die Therapie unterstützen kann. Auch das erforscht das Wissenschaftlerteam anhand von Blut-, Speichel- und Urinproben, die während der Studien gesammelt werden. Seit Anfang Oktober verstärkt der Sport- und Neurowissenschaftler Philipp Zimmer das Team. Zimmer kooperiert schon länger mit den DKFZ-Forschern und interessiert sich dafür, wie sich Sport auf das Immunsystem und den Stoffwechsel im Körper auswirkt. Und er hat auch schon eine Vorstellung von den grundlegenden Mechanismen: „Wir wissen, dass chronische Entzündungen im Körper, die zum Beispiel im Zusammenhang mit Übergewicht entstehen, das Krebsrisiko steigern", erklärt Zimmer. „Sport dagegen wirkt Entzündungen entgegen." Wie das im Detail funktioniert, will er nun am DKFZ weiter untersuchen.
Außerdem ist Zimmer davon überzeugt, dass auch epigenetische Mechanismen eine Rolle spielen, also Vorgänge, die sich darauf auswirken, welche Gene abgelesen werden und welche nicht. In einer früheren Untersuchung an der Sporthochschule in Köln hat Zimmer herausgefunden, dass intensiver Sport epigenetische Veränderungen nach sich zieht, die letztlich dafür sorgen, dass bestimmte Immunzellen aktiver werden und deshalb wahrscheinlich den Körper besser gegen Krebszellen verteidigen. „Diesen Zusammenhang nehmen wir nun gemeinsam mit Epigenetikern hier im DKFZ genauer unter die Lupe", sagt der Wissenschaftler. Seine Motivation ist vor allem, zu verstehen, was Sport im Körper bewirkt, aber er hat auch eine klare Botschaft: „Mindestens dreimal pro Woche eine halbe Stunde Sport sollte drin sein – und man darf sich dabei ruhig anstrengen." Einen negativen Effekt auf den Körper müsse man nur befürchten, wenn man nach jahrelanger Untätigkeit zu schnell einsteigt oder sich keine Regenerationsphasen gönnt, also zum Beispiel Tage, an denen man nur spazieren geht, statt hart zu trainieren.
Ihre Ergebnisse veröffentlicht Karen Steindorf nicht nur in renommierten Fachzeitschriften: „Ich wollte immer etwas tun, das wichtig ist, etwas, das das Leben von Menschen besser macht." Daher tritt sie mit Ihrer Arbeit an die Öffentlichkeit, wann immer sie die Gelegenheit dazu hat, und nimmt sich auch Zeit für Interviews mit Journalisten. Denn damit Steindorfs Arbeit Früchte trägt, muss das Wissen dorthin gelangen, wo es wirkt: zu den Menschen, die durch ein Plus an Bewegung ihre Gesundheit verbessern, ihr Krebsrisiko senken, oder, im Falle einer Erkrankung, ihren Therapieverlauf positiv beeinflussen können. „Natürlich erreichen wir nie alle – aber je mehr es sind, desto besser."
// Stefanie Reinberger