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Überraschender Fund bei Glioblastomen: Inseln potenter Abwehrzellen im lokalen Knochenmark

Nr. 45 | 31.07.2024 | von UV

Glioblastome sind hochaggressive, in der Regel unheilbare Hirntumoren. Bei Ausschöpfung aller therapeutischen Optionen haben Betroffene eine mittlere Lebenserwartung von weniger als zwei Jahren. Jetzt machten Forschende vom Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK) am Westdeutschen Tumorzentrum Essen eine überraschende Entdeckung: In der Nähe von Glioblastomen fanden sie im benachbarten Knochenmark der Schädeldecke Inseln hochpotenter Immunzellen, die bei der Krebsabwehr eine zentrale Rolle spielen. Die neuen Daten eröffnen möglicherweise Perspektiven für innovative Therapien. Anderseits werfen sie einen Schatten auf herkömmliche Strategien.

Im DKTK verbindet sich das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg als Kernzentrum langfristig mit onkologisch besonders ausgewiesenen universitären Partnerstandorten in Deutschland.

Schädelknochen (grau) eines Patienten mit Glioblastom. In den inneren Aushöhlungen des lokalen Knochenmarks sind Gefäße rot dargestellt; die Immunzellen, die sich angereichert nur in unmittelbarer Nähe zum Tumor finden, sind grün abgebildet.
© Dobersalske/Scheffler / DKTK

„Was wir gefunden haben, ist überraschend und grundsätzlich neu", sagt Björn Scheffler, DKTK-Forscher am Standort Essen. Bislang dachte man die körpereigene Abwehr immer als ganzheitliches System, das seine Truppen je nach Bedarf in verschiedene Körperregionen aussendet. „Unsere Daten zeigen jedoch", so Scheffler, „dass sich hochpotente Immunzellen in regionalen, tumornahen Knochenmarknischen sammeln und von dort aus die Abwehr organisieren. Zumindest bei Glioblastomen ist das so."

Immunsystem vor Ort

Basierend auf neuen tierexperimentellen Befunden hat das Essener Team unbehandelten Patienten mit Glioblastom aus dem tumornahen Knochenmark der Schädeldecke Gewebeproben entnommen. „Die Methoden dazu mussten aber erst etabliert werden", berichtet Erstautorin Celia Dobersalske und unterstreicht die Tatsache, dass die neuen Forschungsergebnisse an Gewebeproben von Menschen gewonnen wurden.

Die Forscherinnen und Forscher haben bei ihrer Suche ins Schwarze getroffen: Knochenmarknischen in enger Nachbarschaft zum Glioblastom scheinen das Reservoir zu sein, aus dem sich die Tumorabwehr rekrutiert. Abgesehen von aktiven lymphoiden Stammzellen, die sich zu Immunzellen entwickeln, fanden die Forscher im tumornahen Knochenmark auch reife zytotoxische T-Lymphozyten (CD8-Zellen). „Das sind hocheffektive Immunzellen, die bei der Krebsabwehr eine zentrale Rolle spielen", ergänzt Celia Dobersalske. Sie können entartete Zellen erkennen und vernichten.

Die CD8-Zellen im tumornahen Knochenmark waren auf ihrer Oberfläche vermehrt mit Rezeptoren besetzt, über die das Ausschwärmen reifer T-Lymphozyten gesteuert wird. Dazu passend wurden Abkömmlinge derselben Zellklone – ein Klon stammt von ein und derselben Zelle ab – sowohl im Knochenmark als auch im Tumorgewebe nachgewiesen. Klare Indizien also, dass die vor Ort versammelten Immunzellen das Glioblastom bekämpfen. „Und sie sind – eine Zeit lang zumindest – erfolgreich", so Björn Scheffler. „Wir konnten zeigen, dass die Krankheitsverläufe mit der Aktivität der ortansässigen CD8-Zellen korrelieren."

Wertvolle Immunzellen zerstört?

Dieser Fund stellt nicht nur herkömmliche Vorstellungen von der Arbeitsweise des Immunsystems auf den Kopf. Auch die Behandlungskonzepte beim Glioblastom müssen angesichts der neuen Daten überdacht werden. „Wir hatten die Schädeldecke bei unseren Überlegungen bislang gar nicht auf dem Schirm. Wie auch, es gab ja keinerlei Hinweise, dass sich dort hochpotente Immunzellen verbergen könnten", sagt Studienleiter Scheffler.

„Wir haben also die Schädeldecke eröffnet und dabei möglicherweise wertvolle Immunzellen zerstört", bestätigt Ulrich Sure, Direktor der Klinik für Neurochirurgie und Mitglied des Essener Forscherteams. „Angesichts der neuen Erkenntnisse befinden wir uns in einem Dilemma: Wir müssen den Zugang zum Tumor erlangen, um ihn zu entfernen und auch um die Diagnose sichern zu können. Es gibt aktuell keinen anderen Weg als durch die Schädeldecke. Aber wir denken darüber nach, wie wir künftig Schäden am lokalen Knochenmark minimieren können."

Andererseits eröffnet die Entdeckung des lokalen Immunsystems Chancen für innovative Therapien. Speziell die sogenannten Checkpoint-Inhibitoren kommen wieder ins Spiel. Das sind Immuntherapeutika, die darauf abzielen, die körpereigene Krebsabwehr in Schwung zu bringen. Bisher getestete Checkpoint-Inhibitoren zeigen allerdings bei Glioblastomen wenig Wirkung.

„Dafür wurden unterschiedliche Erklärungen vorgeschlagen, aber vielleicht muss man auch in dieser Hinsicht ganz neu denken", so Björn Scheffler. „Wir wissen jetzt, dass sehr wohl hochpotente Abwehrzellen vor Ort versammelt sind. Sie sind fit für die Tumorbekämpfung, das konnten wir nachweisen, aber sie sind allein nicht in der Lage, den Tumor zu zerstören. Hier können wir ansetzen. Eine Herausforderung wird sein, Wirkstoffe in ausreichender Konzentration zum richtigen Zeitpunkt in die regionalen Knochenmark-Nischen zu bringen. Wenn das gelingt, haben wir vielleicht eine Chance, das Wachstum von Glioblastomen unter Kontrolle zu bringen und die Überlebenschancen unserer Patienten zu verbessern."

Diese Arbeit wurde gefördert von der Wilhelm Sander-Stiftung, durch das DKTK Joint Funding Programm 'HematoTrac' sowie das Go-Bio-initial Programm des BMBF.

Dobersalske C et al: Cranioencephalic functional lymphoid units in glioblastoma.
Nature Medicine 2024, DOI: 10.1038/s41591-024-03152-x
Link zur Originalpublikation: https://rdcu.be/dPyGo 

Ein Bild zur Pressemitteilung steht zum Download zur Verfügung:
www.dkfz.de/de/presse/pressemitteilungen/2024/bilder/Dobersalske-Scheffler-NatMed2024.png 

BU: Schädelknochen (grau) eines Patienten mit Glioblastom. In den inneren Aushöhlungen des lokalen Knochenmarks sind Gefäße rot dargestellt; die Immunzellen, die sich angereichert nur in unmittelbarer Nähe zum Tumor finden, sind grün abgebildet.

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Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, Interessierte und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.

Um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Patientinnen und Patienten zu verbessern, betreibt das DKFZ gemeinsam mit exzellenten Universitätskliniken und Forschungseinrichtungen in ganz Deutschland Translationszentren:

  • Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT, 6 Standorte)
  • Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK, 8 Standorte)
  • Hopp-Kindertumorzentrum (KiTZ) Heidelberg
  • Helmholtz-Institut für translationale Onkologie (HI-TRON) Mainz – ein Helmholtz-Institut des DKFZ
  • DKFZ-Hector Krebsinstitut an der Universitätsmedizin Mannheim
  • Nationales Krebspräventionszentrum (gemeinsam mit der Deutschen Krebshilfe)
Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.

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