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Ungestörter Schlaf hält Stammzellen jung

Nr. 08 | 18.02.2015 | von Koh

Blutverlust, Infektionen, Entzündungen: Es sind alltägliche Gesundheitsprobleme, die die Blutstammzellen im Knochenmark immer wieder aus ihrem Schlafzustand reißen und zur Teilung anregen. Dabei sammeln sich regelmäßig Erbgutdefekte an, die schließlich zum Versagen der Stammzellen führen können, wie Wissenschaftler vom Deutschen Krebsforschungszentrum und vom Stammzellinstitut HI-STEM nun in der Zeitschrift Nature veröffentlichen. Die Forscher zeigten an normalen Mäusen, wie es zu dieser typischen Alterserscheinung kommt. Bei Mäusen mit einem defekten Erbgut-Reparatursystem führte die wiederholte Aktivierung der Blutstammzellen sogar zum völligen Versagen des Knochenmarks und damit zu Symptomen des vorzeitigen Alterns. Die Erbgutschädigungen stehen auch im Verdacht, Stammzellen zu Krebs entarten zu lassen.

Nach einer Behandlung, die schlafende Blutstammzellen aufweckt: Das Knochenmark normaler Mäuse (links) ist vollgepackt mit Blutzellen verschiedener Reifestadien. Bei einer Maus mit dem Fanconi-Defekt dagegen führt diese Behandlung zum „Knochenmarksversagen“, anstelle der Blutzellen haben sich Fettzellen angesiedelt.
© Michael Milsom, DKFZ

Während der gesamten Lebensspanne erneuern und erhalten Stammzellen die Gewebe unseres Körpers. Besteht gerade kein Bedarf an Zell-Nachschub, so verharren Stammzellen, etwa die des blutbildenden Systems im Knochenmark, in einem tiefen Schlaf. Während dieser Ruhephase teilen sie sich nicht und verbrauchen auch sehr wenig Energie.

Blutverlust, Infektionen und Entzündungen wirken wie ein Wecker auf schlafende Blutstammzellen. Unverzüglich beginnen sie mit der Zellteilung und produzieren Nachschub – etwa, um Immunzellen für die Virenabwehr bereitzustellen oder um einen Verlust an roten Blutkörperchen oder Blutplättchen auszugleichen.

„Unsere Theorie war, dass dieser Schlafzustand die Blutstammzellen vor DNA-Schäden und damit vor vorzeitigem Altern schützt“, sagt Dr. Michael Milsom. Der Stammzellexperte leitet eine Nachwuchsgruppe, die im DKFZ und im von der Dietmar Hopp Stiftung geförderten Heidelberger Institut für Stammzelltechnologie und Experimentelle Medizin (HI-STEM gGmbH) angesiedelt ist. Milsom und seine Mitarbeiter untersuchten nun an Mäusen, ob Wecksignale tatsächlich zu DNA-Schäden und damit zu einem Versagen der Blutstammzellen führen können.

Dr. Dagmar Walter und Amelie Lier, die Erstautorinnen der Arbeit, behandelten Mäuse mit einer Substanz, die dem Körper eine Virusinfektion vortäuscht. Anschließend untersuchten sie die Blutstammzellen, die durch die vermeintliche Virusinfektion erwartungsgemäß aus dem Tiefschlaf geweckt worden waren und die Zellteilung wieder aufgenommen hatten. Dabei hatten sich im Erbgut viele neue Defekte angehäuft. „Die Blutstammzellen müssen in kürzester Zeit von Tiefschlaf auf maximale Aktivität umschalten. Hierfür steigern sie ihre Stoffwechselaktivität drastisch, um neue Tochterzellen zu produzieren. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass etwas schief geht“, erklärt Michael Milsom.

In der Tat enthielten aufgeweckte Stammzellen mehr schädliche reaktive Stoffwechselprodukte, die als wichtige Ursache für DNA-Schäden gelten. Diese Erbgutschäden können zum Verlust von Stammzellen oder – noch schlimmer – zu Krebs führen.

Glücklicherweise sind Stammzellen mit Reparatursystemen ausgestattet, die den größten Teil dieser DNA-Schäden wieder reparieren. Werden die Zellen jedoch zu häufig oder sogar chronisch solchen Stressfaktoren ausgesetzt, wird das Reparatursystem überlastet. Dies führt dazu, dass die Stammzellen mit zunehmendem Alter immer mehr Erbgutschäden ansammeln und schließlich versagen und sterben. „Unsere Versuche belegen, wie es zur Anhäufung von DNA-Schäden kommt. Damit können wir erklären warum die Regenerationsfähigkeit unserer Gewebe und Organe im Alter zurückgeht“, erläutert Milsom.

In Blutstammzellen mit eingeschränkter Reparaturkapazität, so vermuteten Milsom und Kollegen, müssten die Konsequenzen der Erbgutschädigung noch deutlicher zu tragen kommen als in normalen Blutstammzellen. Sein Team untersuchte daher Mäuse mit einem defekten Reparatursystem. In Menschen führt dieser Defekt zur Fanconi-Anämie. Patienten, die von dieser Erbkrankheit betroffen sind, altern frühzeitig und ihr blutbildenden Systems stellt bereits in jungen Jahren den Zell-Nachschub ein, was auch als Knochenmarksversagen bezeichnet wird.

Die Fanconi-Mäuse wurden mit der Substanz behandelt, die dem Körper einen Virusinfekt vortäuscht. Normale Tiere verloren daraufhin einen Teil der Blutstammzellen im Knochenmark. Mäuse mit dem Reparaturdefekt konnten die stressinduzierten DNA-Schäden nicht reparieren, was zu einem kompletten Verlust aller Blutstammzellen führte. „Die Tiere zeigten genau die gleichen Symptome wie Patienten, die an einer Fanconi-Anämie leiden“, sagt Milsom.

Prof. Dr. Andreas Trumpp, Abteilungsleiter am DKFZ und Geschäftsführer der HI-STEM gGmbH, hält die Arbeit für entscheidend für das Verständnis von altersbedingten Krankheiten und von Krebs: „Es sind die ganz normalen Gesundheitsbeschwerden, mit denen der Körper ein Leben lang ständig fertig werden muss, die die Blutstammzellen aus dem Schlaf reißen und in den Zellteilungszyklus zwingen: Blutverluste, Infektionen oder Entzündungen. Auf die Dauer gesehen führt das zu einem spürbaren Verschleiß der Blutstammzellen. Oder die DNA-Schäden lassen Stammzellen entarten und zum Saatkorn einer Krebserkrankung werden. Das ganz normale Leben lässt uns – und unsere Stammzellen – altern!“

Dagmar Walter, Amelie Lier, Anja Geiselhart, Frederic B. Thalheimer, Sina Huntscha, Mirko C. Sobotta, Bettina Moehrle, David Brocks, Irem Bayindir, Paul Kaschutnig, Katja Muedder, Corinna Klein, Anna Jauch, Timm Schroeder, Hartmut Geiger, Tobias P. Dick, Tim Holland-Letz, Peter Schmezer, Steven W. Lane, Michael A. Rieger, Marieke A. G. Essers, David A. Williams, Andreas Trumppund Michael D. Milsom: Exit from dormancy provokes DNA damage-induced attrition in haematopoietic stem cells. Nature 2015, DOI: 10.1038/nature14131

Ein Bild zur Pressemitteilung steht im Internet zur Verfügung unter:
http://www.dkfz.de/de/presse/pressemitteilungen/2015/bilder/bone-marrow-failure.jpg

Quelle: Michael Milsom, DKFZ
Legende: Nach einer Behandlung, die schlafende Blutstammzellen aufweckt: Das Knochenmark normaler Mäuse (links) ist vollgepackt mit Blutzellen verschiedener Reifestadien. Bei einer Maus mit dem Fanconi-Defekt dagegen führt diese Behandlung zum „Knochenmarksversagen“, anstelle der Blutzellen haben sich Fettzellen angesiedelt. 

Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, Interessierte und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.

Um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Patientinnen und Patienten zu verbessern, betreibt das DKFZ gemeinsam mit exzellenten Universitätskliniken und Forschungseinrichtungen in ganz Deutschland Translationszentren:

  • Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT, 6 Standorte)
  • Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK, 8 Standorte)
  • Hopp-Kindertumorzentrum (KiTZ) Heidelberg
  • Helmholtz-Institut für translationale Onkologie (HI-TRON) Mainz – ein Helmholtz-Institut des DKFZ
  • DKFZ-Hector Krebsinstitut an der Universitätsmedizin Mannheim
  • Nationales Krebspräventionszentrum (gemeinsam mit der Deutschen Krebshilfe)
Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.

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