Angewandte Funktionelle Genomik

  • Funktionelle und Strukturelle Genomforschung

Prof. Dr. Claudia Scholl

Unser Labor untersucht seltene, wenig erforschte Tumorerkrankungen um durch ein besseres Verständnis ihrer Biologie und Pathogenese neue Ansatzpunkte für Therapien zu finden.

Unsere Forschung

Seltene Krebsarten und extrem seltene Sarkome stellen für die betroffenen Patienten ein großes Problem dar, da sie mit mehreren Herausforderungen verbunden sind. Im Gegensatz zu häufigen Krebsarten stehen nur wenige Patienten zur Verfügung, um randomisierte klinische Studien durchzuführen, wiederkehrende krebsauslösende Gene zu identifizieren und die Biologie der Krankheit zu untersuchen. Dies führt zu unzureichenden wissenschaftlichen Erkenntnissen, Fehldiagnosen und Verzögerungen bei der Diagnose sowie zu einem Mangel an klinischer Expertise und geeigneten Therapien, was letztlich zu einem schlechteren Gesamtüberleben im Vergleich zu häufigen Krebsarten führt. Trotz ihrer Seltenheit ist die Erforschung dieser schlecht verstandenen Krebsarten von großer Bedeutung, insbesondere wenn man die Gesamtzahl der betroffenen Patienten betrachtet. 22 % aller Krebserkrankungen, die jedes Jahr in Europa diagnostiziert werden, sind selten, also jede fünfte Krebserkrankung. Darüber hinaus haben ungefähr ein Viertel aller Menschen, die in Europa mit Krebs leben, eine seltene Krebsart, was ca. 4,3 Millionen Menschen sind.

Um Erkenntnisse über die Biologie seltener Krebsarten zu gewinnen, kombinieren wir Omics-Analysen von Patientenproben mit der funktionellen Charakterisierung tumorspezifischer Veränderungen. Wir arbeiten eng mit dem prospektiven Präzisions-Onkologie-Programm MASTER (Molecularly Aided Stratification for Tumor Eradication Research) zusammen, in dem Patiententumoren, insbesondere seltene Krebsarten, durch Ganzgenom-, Exom- und RNA-Sequenzierung untersucht werden. Die in diesem Programm entdeckten genetischen Veränderungen werden in unserem Labor mit Hilfe verschiedener Methoden und Krebs-Modelle, darunter Zelllinien und Mäuse, funktionell charakterisiert. Darüber hinaus ermitteln wir sekundäre Genabhängigkeiten mithilfe genom-weiter CRISPR-Screens, gefolgt von dessen eingehender mechanistischen Charakterisierung. Auf diese Weise gewinnen wir neue mechanistische Erkenntnisse über kritische zelluläre Signalwege und helfen dabei, genetische Informationen in die klinische Anwendung umzusetzen.

Identifizierung von Schwachstellen in Krebszellen

HINTERGRUND: Somatisch erworbene genetische Veränderungen führen während der malignen Transformation zu komplexen Veränderungen intrazellulärer Signalwege, wodurch Krebszellen von anderen intakten Genen abhängig werden können. Solche sekundären Abhängigkeiten können Aufschluss über die Funktionen der mutierten Gene geben und therapeutisch ausgenutzt werden. Um solche Schwachstellen in Krebszellen zu identifizieren, setzt unser Labor funktionelle Screening-Methoden ein, um Gene systematisch zu hemmen und ihren Einfluss auf das Überleben und die Proliferation von Zellen zu untersuchen. Beispielsweise verwenden wir gezielte und genomweite CRISPR/Cas9-Knockout- oder CRISPR-Interferenz (CRISPRi)-Screens, um spezifische Abhängigkeiten bei verschiedenen Malignomen aufzudecken.

Tumorwachstum auf Hühnerchorioallantois-Membranen zweier myxoider Liposarkom-Zelllinien nach Behandlung mit dem YAP-Inhibitor Verteporfin. ©dkfz.de

Myxoides Liposarkom (MLS):
MLS ist eine bösartige Krebserkrankung adipozytären Ursprungs und wird durch das FUS-DDIT3-Fusionsprotein angetrieben, bei dem es sich um einen abnormalen Transkriptionsfaktor handelt. Durch den Einsatz von shRNA-Screens entdeckten wir eine neue Abhängigkeit von YAP1 bei dieser Krebsart und zeigten einen überaktiven YAP1-Signaweg als Merkmal der MLS-Entstehung. Mechanistische Studien zeigte, dass FUS-DDIT3 die Expression von YAP1 fördert, die YAP1 Lokalisation im Zellkern und Transkriptionsaktivität erhöht und physikalisch mit YAP1 im Zellkern von MLS-Zellen assoziiert ist. Die pharmakologische Hemmung der YAP1-Aktivität beeinträchtigt das Wachstum der MLS-Zellen in vitro und in vivo. Daher könnte YAP1 ein neues therapeutisches Ziel darstellen. Dieses Projekt wurde gemeinsam mit unseren langjährigen Kooperationspartnern Wolfgang Hartmann (Translationale Pathologie, Universitätsklinikum Münster) und Stefan Fröhling (NCT Heidelberg und DKFZ) durchgeführt. (Trautmann and Cheng et al., EMBO Molecular Medicine e9889-15, 2019)

Schematische Darstellung einer Chordomzelle. ©dkfz.de

Chordome:
Ein Schwerpunkt des Labors ist die systematische Aufklärung essentieller Gene in Chordomen. Chordome sind seltene, aber verheerende bösartige Tumoren mit begrenzten Therapiemöglichkeiten und unvollständigem Wissen über die Pathophysiologie der Erkrankung. Wir verwenden gezielte und genomweite CRISPR-Screens in humanen Chordomzellen, um Gene, Signalproteine und Signalwege zu identifizieren und zu charakterisieren, die für das Wachstum von Chordomen essentiell sind und für die Entwicklung neuer therapeutischer Strategien genutzt werden können. 

In einem weiteren Projekt entwickeln wir Designed Ankyrin Repeat Proteins (DARPins) für die Hemmung von TBXT bei Chordomen. Der embryonale Transkriptionsfaktor TBXT wird in fast allen Chordomen, nicht aber in normalem adultem Gewebe, stark exprimiert und ist für das Überleben und die Proliferation von Chordomzellen erforderlich. Somit stellt TBXT prinzipiell ein attraktives therapeutisches Ziel dar, aber Transkriptionsfaktoren lassen sich pharmakologisch nur schwer hemmen. In enger Zusammenarbeit mit Prof. Andreas Plückthun (Universität Zürich) entwickeln wir TBXT-gerichtete DARPins, eine neue Klasse von Small-Protein-Therapeutika, die von natürlichen Ankyrin-Repeat-Proteinen abgeleitet sind und ihre Zielproteine erkennen und binden, indem sie das Funktionsprinzip von Antikörpern nachahmen. (Umbaugh et al., bioRxiv, doi:https://doi.org/10.1101/2024.09.20.614025)

Mechanistische Charakterisierung von Genveränderungen bei seltenen Krebsarten

HINTERGRUND: Die meisten Krebsarten sind durch nur wenige Mutationen gekennzeichnet, die in Tumoren mit hoher Häufigkeit vorkommen. Diese sind oft gut charakterisiert, was die Entwicklung von Pathogenese-orientierte Therapiestrategien ermöglicht hat, die in ausgewählten Fällen zu bemerkenswerten Therapieerfolgen geführt haben. Die Mehrzahl der genetischen Veränderungen ist jedoch selten oder sogar einzigartig, und ihr Beitrag zur Tumorentstehung ist weitgehend unklar, insbesondere bei seltenen Krebsarten. Ihr mechanistisches Verständnis ist Voraussetzung für die erfolgreiche Umsetzung einer individualisierten Diagnostik und Behandlung von Patienten mit seltenen Krebsarten.

Zusammenfassung der Studie. @dkfz.de

Weichteilsarkom mit FUS-TFCP2- oder EWSR1-TFCP2-Fusionen:
Das Rhabdomyosarkom (RMS), ein Subtyp der Weichteilsarkome, besteht aus bösartigen, unreifen Vorläuferzellen mit myogener Differenzierung und geht vermutlich aus der Skelettmuskulatur hervor. Unsere Kooperationspartner des MASTER-Programms (Stefan Fröhling, Christoph Heilig) identifizierten mehrere RMS-Fälle, bei denen die Proteine FUS oder EWSR1 mit dem Transkriptionsfaktor TFCP2 fusioniert waren. Diese FUS- oder EWSR1-TFCP2-positiven RMS wurden in der kürzlich aktualisierten WHO-Klassifikation (2020) erfasst, aber ihre Klassifizierung, Pathogenese und optimale Behandlung waren unklar. In einer interdisziplinären Zusammenarbeit unserer Gruppe mit Kollegen des DKFZ, des NCT Heidelberg, des KiTZ, des NCT Dresden und des Instituts für Pathologie in Münster untersuchten wir die klinischen, histopathologischen, genomischen, transkriptomischen und epigenomischen Merkmale dieser Patienten und untersuchten die funktionellen und mechanistischen Grundlagen dieser Tumoren. Die wichtigsten Ergebnisse waren, dass TFCP2-rearrangierte Neoplasien als undifferenziertes Sarkom anstatt RMS klassifiziert werden sollten, durch eine stufenweise Sarkomgenese entstehen und verschiedene molekulare Veränderungen aufweisen, die mögliche therapeutische Ziele darstellen. Letztere sind überexprimierte ALK-Varianten, CDKN2A/MTAP-Co-Deletionen und eine TFCP2-fusionsinduzierte DNA-Reparatur-Störung. Diese Studie veranschaulicht, wie die Präzisionsonkologie mithilfe einer umfassenden molekularen Profilerstellung die Kategorisierung und das biologische Verständnis seltener Krebsarten ermöglicht, was zu neuen Ansätzen für das klinische Management dieser oft schwer zu behandelnden Erkrankungen führen kann. (Schöpf, Uhrig, Heilig, Lee et al., Nat Commun 15(1):51, 2024)

Untersuchung der regenerierenden Maus-Lunge mit einer Kombination aus in vivo Zellteilungsverfolgung und Einzell-RNA-Sequenzierung

@dkfz.de

Das Verständnis der molekularen und zellulären Prozesse, die an der Regeneration des Lungenepithels beteiligt sind, kann die Entwicklung neuer Therapieansätze für Lungenerkrankungen vorantreiben. Wir haben daher neue Mausmodelle, die eine Diphtherietoxin (DTA)-vermittelte Depletion spezifischer Epithelzelltypen und die GFP-Markierung von sich teilenden Zellen ermöglichen, mit Einzelzell-RNA-Sequenzierung kombiniert, um die Regeneration der distalen Lunge zu charakterisieren. Wir entdeckten neue Zelltypen, von denen einige wahrscheinlich epitheliale Vorläufer darstellen, fanden Hinweise, dass Becherzellen Vorläuferzellen anstatt terminal differenzierte Zellen sind, und lieferten den Nachweis, dass adventitiale Fibroblasten die epitheliale Regeneration unterstützen. Wir fanden auch, dass DTA-exprimierende Zellen in der Lunge persistieren können, spezifische Entzündungsfaktoren exprimieren und einer bisher unbeschriebenen Zell-Population in der Lunge von COVID-19-Patienten ähneln. Unsere Studie liefert einen umfassenden Einzelzellatlas der distalen Maus-Lunge, der frühe transkriptionelle und zelluläre Reaktionen auf definierte Epithelverletzungen charakterisiert, einschließlich Proliferation, Differenzierung und Zell-zu-Zell-Interaktionen. (Martins et al., Nat Commun, 15(1):2246, 2024)

Team

10 Mitarbeiter:innen

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  • Dr. Charles Samuel Umbaugh

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  • Lena Wickenhäuser

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Ausgewählte Publikationen

2024 - Nature Communications
2024 - Nature Communications
2020 - Leukemia
2019 - EMBO Molecular Medicine

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Zwei Wissenschafter schauen auf den Monitor eines Computers
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