Warum wir in der Krebs­forschung nicht auf Tier­versuche verzich­ten können

Der Wunsch, Tierversuche in der Krebsforschung vollständig zu ersetzen, ist verständlich. Doch lässt sich diese Forderung weder aktuell noch mit zeitlichen konkreten Meilensteinen umsetzen. Insbesondere in der biomedizinischen Krebsforschung sind Tierversuche zumindest im Augenblick weiterhin zwingend erforderlich.

In Deutschland und in Europa werden wir laut WHO innerhalb von 20 Jahren einen Anstieg der jährlichen Krebsfälle um 20 Prozent erleben. Aufgabe der Krebsforschung ist es, für die steigende Anzahl von Patientinnen und Patienten eine effektive Prävention sowie Früherkennung bis hin zu innovativen Diagnoseverfahren und wirksamen Behandlungsoptionen zu entwickeln.

Um in diesen Bereichen Fortschritte zu erzielen, nutzen wir im Deutschen Krebsforschungszentrum auch heute schon alle verfügbaren Methoden und Modellsysteme: Wir forschen an Molekülen und Proteinen, an Zell- und Gewebekulturen, an Gewebeproben, Organoiden und mit Computermodellen. Auch epidemiologische und bildgebende Untersuchungen liefern wertvolle Ergebnisse. Doch Krebs ist eine Krankheit, die den ganzen Körper betrifft. Beim Wachstum und bei der Ausbreitung des Tumors tritt die Krebszelle in engen Kontakt mit zahllosen anderen Zellen und Geweben des Körpers. All diese Wechselwirkungen tragen maßgeblich zur Entstehung und zum Verlauf einer Krebserkrankung bei. Die Erforschung dieser hohen Komplexität lässt sich zum einen nicht an einen festen Zeitplan binden und zum anderen nur in einem intakten Organismus abbilden, sodass wir in der Krebsforschung nicht in absehbarer Zeit auf Untersuchungen an Tieren verzichten können.

Hellmut Augustin, Leiter der Abteilung Vaskuläre Onkologie und Metastasierung

Hellmut Augustin

Ein herausragender Erfolg für innovative Krebsforschung – der ohne den Einsatz von Tierversuchen nicht möglich gewesen wäre – ist die Entwicklung der Immun-Checkpoint-Inhibitoren: Die auch als „Immuntherapie" bezeichneten Wirkstoffe wurden 2018 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Mit diesen innovativen Medikamenten werden teilweise spektakuläre Erfolge erzielt, und sie geben vielen Patientinnen und Patienten aufgrund ihrer bemerkenswerten Wirksamkeit neue Hoffnung in ihrem Kampf gegen Krebs.

Die rechtliche Verpflichtung, den Einsatz von Tieren zu ersetzen, wenn neue tierversuchsfreie Methoden zur Verfügung stehen, ist bereits fest in den EU-Rechtsvorschriften verankert und ermöglicht ein schrittweises und damit sinnvolles Vorgehen Hand in Hand mit dem wissenschaftlichen Fortschritt. Die bestehenden gesetzlichen Vorgaben für die Durchführung von Tierversuchen sehen zu Recht eine äußerst strenge Abwägung von Nutzen und Schaden für die Tiere sowie für die ethische Vertretbarkeit der Tierversuche vor.

Ana Martin Villalba, Leiterin der Abt. Molekulare Neurobiologie

Ana Martin Villalba

Tierversuche dürfen nur von Personal mit entsprechend nachgewiesenen Kenntnissen durchgeführt werden und bedürfen der vorherigen Beantragung und Genehmigung durch die Behörden. Sie unterliegen dem deutschen Tierschutzgesetz, einem der strengsten der Welt, sowie einer ständigen und engmaschigen Kontrolle durch Tierschutzbeauftragte, Veterinärämter und Kommunen.

Der verständliche Wunsch und die Forderung, Tierversuche vollständig zu ersetzen, ändert jedoch nichts an der Realität dessen, was heute wissenschaftlich möglich ist. Auch die Entwicklung von Alternativmethoden würde ohne Tierversuche verzögert, da diese letztlich immer gegen Untersuchungen an Tieren geprüft werden müssen. Der Übergang zu einer tierversuchsfreien Forschung kann nur stattfinden, wenn ein vollwertiger methodischer Ersatz zur Verfügung steht.

Dafür bedarf es weiterhin großer Anstrengungen in der biomedizinischen Grundlagenforschung. Dieser Verantwortung, mit den damit verbundenen Herausforderungen, stellen wir uns.

Stefan Pfister, Direktor Hopp-Kindertumorzentrum (KiTZ) Heidelberg und Abt.leiter Pädiatrische Neuroonkologie DKFZ

Stefan Pfister

Jens Puschhof, Forschungsgruppenleiter Epithel-Mikroumgebung-Interaktionen,  Abt. Mikrobiom und Krebs

Jens Puschhof