Die Fähigkeit, sich im Raum zu orientieren und sicher zum Ausgangspunkt zurückzukehren, ist für das Überleben von Mensch und Tier entscheidend. Ob bei der Nahrungssuche, auf Wanderungen oder im Alltag: Unser Gehirn erstellt fortlaufend innere Landkarten, die uns den Weg weisen. Eine Schlüsselrolle spielen dabei die sogenannten Gitterzellen, deren Entdeckung 2014 mit dem Nobelpreis für Medizin gewürdigt wurde. Diese Nervenzellen, die in dem als „entorhinaler Kortex” bezeichneten Gehirnareal liegen, feuern in einem regelmäßigen Muster und galten bisher als eine Art „inneres GPS“ mit stabilen, globalen Koordinaten.
Ein Forschungsteam um die beiden Studienleiter Hannah Monyer und Kevin Allen am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und am Universitätsklinikum Heidelberg zeigt nun, dass Gitterzellen keineswegs so starr arbeiten, wie es jahrelang vermutet wurde. Stattdessen passen sie sich flexibel an und wechseln – je nach Situation – zwischen verschiedenen Bezugssystemen. Damit wird deutlich: Das Gehirn navigiert nicht mit einem unveränderlichen globalen Raster, sondern arbeitet mit mehreren lokalen Karten, die je nach Aufgabe aktiviert werden.
Mäuse im Labyrinth
Um diese Prozesse genauer zu verstehen, entwickelten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine spezielle Navigationsaufgabe für die Mäuse. Die Tiere mussten von einem sicheren Ausgangspunkt aus ein zufällig platziertes Zielobjekt – einen kleinen Hebel – finden. Nach dem Drücken des Hebels erhielten sie eine Belohnung und mussten den Heimweg zurücklegen. Diese Aufgabe wurde sowohl bei Licht als auch in völliger Dunkelheit durchgeführt. Währenddessen zeichneten die Forschenden die Aktivität tausender Nervenzellen im entorhinalen Kortex mit feinen Elektroden auf und kombinierten dies mit modernen Methoden der künstlichen Intelligenz, um die Bewegungssignale in Echtzeit vorherzusagen.
Internes Raster wird auf neuen Bezugspunkt umgestellt
Die Auswertungen zeigten, dass die gewohnten regelmäßigen Gittermuster der Gitterzellen während dieser Aufgabe verschwanden. Stattdessen „verankerten“ die Zellen ihr Raster an verschiedenen Bezugspunkten: Während der Suche orientierten sie sich an der Startposition, nach Erreichen des Hebels stellten sie ihr internes Raster plötzlich auf diesen neuen Bezugspunkt um. Dieses schnelle Umschalten zwischen mehreren Landkarten geschieht innerhalb weniger Sekunden – ein bislang unbekannter Mechanismus. Diese flexible Anpassung ermöglicht es, auch ohne äußere Landmarken den Heimweg zu finden
“Unser Ergebnis steht im Widerspruch zu aktuellen Theorien darüber, wie Gitterzellen die Navigation unterstützen. Unsere Daten zeigen, dass Gitterzellen eher wie ein lokales Positionierungssystem funktioniert und nicht wie ein GPS”, erklärt Ko-Studienleiter Kevin Allen.
Darüber hinaus stellten die Forschenden fest, dass die Orientierung der inneren Karten im Verlauf längerer Suchwege leicht „driftete“. Dieser Drift sagte erstaunlicherweise vorher, in welche Richtung die Tiere anschließend ihren Heimweg antraten.
Enge Verbindung zwischen Gedächtnis und Orientierung
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass das Gehirn kein starres Navigationssystem besitzt, sondern eine hochflexible Strategie einsetzt, um sich je nach Kontext zurechtzufinden“, erklärt Hannah Monyer. „Dieses Wissen hilft uns zu verstehen, warum räumliche Orientierung bei Erkrankungen wie Alzheimer gestört sein kann – und wie man solche Veränderungen künftig möglicherweise frühzeitig erkennen könnte.“
Publikation:
Jing-Jie Peng, Beate Throm, Maryam Najafian Jazi, Ting-Yun Yen, Rocco Pizzarelli, Hannah Monyer, Kevin Allen: Grid cells accurately track movement during path integration-based navigation despite switching reference frames.
Nature Neuroscience 2025, DOI: https://doi.org/10.1038/s41593-025-02054-6