Tumorabsiedlungen im Gehirn sind schwer, schlimmstenfalls gar nicht zu bekämpfen: Sie lassen sich oftmals nur schlecht operieren, klassische Chemotherapien scheitern in der Regel, Bestrahlung schädigt auch das gesunde Gehirn. Neun Forschungsgruppen aus ganz Deutschland haben daher nun ein gemeinsames, von der Deutschen Krebshilfe gefördertes Verbundprojekt gestartet, um Strategien gegen die Neubildung der gefährlichen Hirnmetastasen zu entwickeln.
In fünf Teilprojekten untersuchen Wissenschaftler aus Düsseldorf, Essen, Frankfurt am Main, Hamburg-Eppendorf und Heidelberg systematisch verschiedene neue Ansatzpunkte für Therapien. „Man wird auch in Zukunft kaum verhindern können, dass Krebszellen in das Gehirn einwandern. Unser Ziel ist es daher, das Auswachsen dieser Krebszellen zu großen Metastasen zu verhindern und so dieses Damoklesschwert von den Patienten zu nehmen“, erläutert Frank Winkler, Deutsches Krebsforschungszentrum und Neurologische Universitätsklinik Heidelberg, der das Verbundprojekt „Präventive Strategien gegen Gehirnmetastasen“ leitet. Am Ende der dreijährigen Förderperiode soll der Ansatz mit den besten experimentellen Ergebnissen im Rahmen einer klinischen Studie weiter geprüft und damit in Zukunft Patienten zugänglich gemacht werden. Die Fördersumme für das Verbundprojekt beträgt insgesamt 1,6 Millionen Euro, an die Projektgruppen von Universitätsklinikum Heidelberg und Deutschem Krebsforschungszentrum gehen 378.000 Euro.
Viele Krebsarten können Absiedlungen im Gehirn bilden, am häufigsten jedoch schwarzer Hautkrebs, bestimmte Formen des Brustkrebs und Lungentumoren. Bei rund der Hälfte der Patienten, die an diesen Krebsarten sterben, entwickeln sich im Erkrankungsverlauf Gehirnmetastasen. Chemotherapien, welche die Tumoren im restlichen Körper schädigen und erfolgreich bekämpfen, erreichen die Zellen im hermetisch abgeschirmten Gehirn nicht – die Medikamente können die sogenannte Blut-Hirn-Schranke, mit der das Gehirn gegen im Körper zirkulierende Gifte und Krankheitserreger geschützt ist, nur schlecht durchdringen. Dazu kommt noch eine weitere Schwierigkeit: Neue Erkenntnisse aus der Forschung weisen darauf hin, dass sich Hirnmetastasen in ihrer Biologie grundsätzlich von Tumorabsiedlungen in anderen Organen unterscheiden. Medikamente, die gegen die Metastasenneubildung eingesetzt werden, wirken daher im Tierversuch fundamental anders als gegen große Tumoren. Gängige Krebsmedikamente würden daher, selbst wenn sie ins Gehirn eindringen könnten, meist nicht helfen.
Darüber hinaus weiß man derzeit noch wenig darüber, wie die Tumorzellen es überhaupt schaffen, in das Gehirn gelangen und es zu besiedeln. Das Team von Frank Winkler, Arbeitsgruppenleiter in der Kooperationseinheit Neuroonkologie der Neurologischen Universitätsklinik und des Deutschen Krebsforschungszentrums, war vor einigen Jahren daran beteiligt, einige generelle Abläufe zu klären: Krebszellen, die sich vom ursprünglichen Tumor gelöst haben und in die Blutbahn gelangt sind, quetschen sich durch die Wand der Blutgefäße im Gehirn und bleiben außen an diesen hängen. In diesen „Gefäß-Nischen“ finden sie offenbar ideale Bedingungen und wachsen zu neuen Tumoren heran.
„Dieser vielschichtigen Problematik muss man sich koordiniert von mehreren Seiten aus nähern, um die komplexen Wechselwirkungen zwischen Tumorzellen, Gehirn-Mikromilieu und Immunsystem zu durchschauen“, so Wolfgang Wick, Ärztlicher Direktor der Neurologischen Universitätsklinik Heidelberg und Leiter der Klinischen Kooperationseinheit Neuroonkologie am DKFZ. Vorarbeiten der einzelnen Projektpartner haben bereits Hinweise auf mögliche Schwachstellen bei der Metastasenbildung im Gehirn erbracht, denen die Wissenschaftler nun im Rahmen des Verbundprojekts weiter nachgehen werden.
Lohnenswerte Ziele scheinen die Prozesse vor der eigentlichen Bildung großer Metastasen zu sein: wenn sich die Krebszellen an der Außenseite der Blutgefäße festsetzen, mit diesen und den umliegenden Hirnzellen, sogenannten Astrozyten, enge Verbindungen eingehen und sich zu teilen beginnen. Zudem könnte es sinnvoll sein, den auf die Tumorbekämpfung spezialisierten Immunzellen des Körpers (T-Zellen) ebenfalls den Übertritt in das Gehirn zu ermöglichen, und deren Aktivierung dort zu fördern.
Doch nicht nur die anzunehmende Schlüsselrolle der genannten Prozesse bei der Metastasenbildung spielte eine wichtige Rolle bei der Auswahl der Angriffspunkte: „Wir haben gezielt Mechanismen ausgewählt, von denen wir wissen, dass wir sie mit bereits vorhandenen Wirkstoffen beeinflussen können“, so Winkler. „So können wir auf Medikamente zurückgreifen, die aktuell in Studien erprobt werden oder für die eine Zulassung in der Therapie einer anderen Erkrankung besteht. Auf diese Weise beschleunigen wir später den Transfer aus dem Labor zum Patienten.“ Während der Förderperiode arbeiten die Wissenschaftler neben Mäusen mit Patientenmaterial wie aus dem Blut gefilterten, zirkulierenden Tumorzellen, Blutfaktoren sowie Gewebeproben aus den ursprünglichen Tumoren und Hirnmetastasen.
Bisher gibt es national und international keinen vergleichbaren Forschungsansatz, der den Bogen von präklinischen Tiermodellen über Analysen von Gewebe und Blutproben von Patienten bis hin zur Entwicklung von Früherkennungsstrategien und dem Transfer der Ergebnisse in eine klinische Studie spannt. „Insgesamt gibt es bisher noch keine derart koordinierte Forschung auf dem Gebiet der Hirnmetastasen-Prävention, geschweige denn Patientenstudien“, betont der Neurologe. „Wir werden den Verlauf vieler Krebserkrankungen aber nur dann verbessern, wenn wir deren Haupt-Todesursache, die Metastasenbildung, erfolgreich bekämpfen können. Und die Metastasenbildung im Gehirn ist nun einmal am meisten gefürchtet.“