Abteilung Strukturbiologie von Infektion und Immunität
Dr. Erec Stebbins
In jüngster Zeit musste die Welt erfahren, was für eine gewaltige Auswirkung die Fähigkeit eines Pathogens zur Immunflucht haben kann, als sich mit dem Aufkommen sogenannter Fluchtmutanten des seit 2019 grassierenden Coronavirus (SARS-CoV-2) die weltweite Pandemie nochmals verschärfte. Fluchtmutanten führen als Varianten eines Krankheitserregers sowohl bei Infektionskrankheiten als auch bei anderen bösartigen Erkrankungen typischerweise zu einer langandauernden Belastung. Das Immunsystem ist in der Lage, sowohl fremde Antigene als auch gefährliche körpereigene Antigene zu erkennen und beseitigt Zellen von beispielsweise Mikroben oder Tumoren, die solche Antigene aufweisen. Manche Krankheitserreger und persistierende Krebserkrankungen wirken dieser Immunität allerdings entgegen, indem sie ihre Oberflächenantigene verändern. Wir verwenden für unsere Forschung ein kontrollierbares, biologisch sicheres und genetisch steuerbares Modellsystem (den Parasiten Trypanosoma brucei, den Erreger der afrikanischen Schlafkrankheit), um die Prozesse hinter der Immunflucht langfristig und im Rahmen eines starken und gemeinschaftlichen immunologischen Forschungsprogramms am Deutschen Krebsforschungszentrum zu untersuchen. Bereits unsere ersten Ergebnisse haben dabei zu einem Paradigmenwechsel in unserem Forschungsfeld geführt.
T. brucei verursacht die afrikanische Schlafkrankheit beim Menschen und eine verwandte Erkrankung in Tieren. Das sogenannte Variant Surface Glycoprotein (VSG) des Erregers spielt dabei die zentrale Rolle, um dem Angriff des menschlichen Immunsystems zu entgehen. Auf der Oberfläche des Erregers bildet dieses VSG eine einzigartige und extrem dichte Hülle aus etwa 10 Millionen Molekülen. Das Immunsystem erkennt diese Oberflächenhülle als gefährliches Antigen und reagiert entsprechend mit einer starken Antikörperreaktion. Der Parasit entzieht sich diesem Angriff allerdings, indem er auf ein großes genetisches Repertoire abweichender VSG zugreifen und seine Oberflächenstruktur quasi auf eine neue (unterschiedliche Antigene präsentierende) VSG-Variante „umschalten“ kann. Dies führt zu einer langanhaltenden Infektion, in deren Verlauf die Parasitenbelastung immer wieder zwischen Höchst- und Tiefstwerten schwankt. Diese Schwankungen sind das Ergebnis eines Prozesses, der als Antigenvariation bekannt ist, und der sich durch wiederholte Zyklen von Antikörperbildung, Abtötung der Parasiten und erneuter Parasitenbelastung nach dem Wechsel der VSG-Oberfläche auszeichnet.
Unsere Forschung zielt darauf ab, die sehr unterschiedlichen VSG-Proteine und ihre Wechselwirkung mit den Antikörpern mechanistisch zu charakterisieren. Unser „Bottom-Up“-Ansatz mit Hilfe der Röntgenkristallographie hat unsere Vorstellung davon, wie T. brucei es schafft sich dem Immunsystem zu entziehen dramatisch verändert. Bedeutende Erfolge waren dabei (1) die Entdeckung bedeutender und unerwarteter struktureller Abweichungen zwischen den unterschiedlichen VSGs, (2) die Identifizierung unvorhergesehener und immunmodulatorischer, post-translationaler Modifikationen der VSGs, die das „Epitop-Spektrum“ erheblich erweitern, (3) die Entdeckung von Co-Kristallstrukturen zwischen den Antikörpern und der VSG, die zum ersten Mal eine Erfassung der Epitop-Verfügbarkeit auf der Oberflächenhülle ermöglichte, (4) der Nachweis von VSG-Funktionen, die über reine Antigen-Variation hinausgehen (z.B. die Bindung an biologisch relevante Substrate), (5) der Nachweis, dass die einzelnen VSGs zur Ausschüttung ungewöhnlicher Antikörperrepertoires führen, die sehr genau auf die immundominanten Epitope abzielen, und (6) die translationale Entwicklung einer neuartigen und leistungsfähigen Impfstoff-Plattform, die auf diesem Oberflächenmantel basiert und entscheidend durch die Erkenntnisse aus der Erforschung seiner Proteinstruktur geprägt ist.
Vor diesem Hintergrund arbeiten unsere Techniker:innen, Student:innen und Wissenschaftler:innen an verschiedenen Projekten zur Charakterisierung der unterschiedlichen VSG-Proteine (und erfassen dabei nach und nach deren volle immunologische Vielfalt) und der Co-Kristallstrukturen zwischen Antikörpern und Antigenen. Zu den dabei eingesetzten Labortechniken und Methoden gehören die Anlage von Gewebekulturen, die Kultivierung eukaryontischer Mikroorganismen, die Aufreinigung und Kristallisation von Proteinen im großen Maßstab (wir arbeiten sowohl mit den endogenen Proteinen der afrikanischen Trypanosomen als auch mit rekombinantnr Proteinen, die mittels bakterieller Expressionsverfahren gewonnen werden), die Strukturbestimmung mit Hilfe der Röntgenkristallographie sowie die Kryo-Elektronenmikroskopie.