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Ein Wecker für schlafende Hirnstammzellen

Nr. 37 | 31.07.2015 | von Koh

Wissenschaftler aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum erstellten ein molekulares Profil der neuronalen Stammzellen aus dem Gehirn von Mäusen. Dabei fanden sie heraus, dass der Botenstoff Interferon gamma bestimmte neuronale Stammzellen aus dem Schlaf weckt und ihre Aktivierung einleitet. Der Botenstoff, der bei Sauerstoffmangel und dadurch ausgelöste Schäden ausgeschüttet wird, lässt sich möglicherweise einsetzen, um Hirnstammzellen nach Verletzungen oder bei degenerativen Erkrankungen gezielt zu aktivieren.

Die Hirnstammzellen entwickelten sich zu Interneuronen (lila), die in das Riechzentrum eingewandert sind.
© Ana Martin-Villalba, DKFZ

Jahrzehntelang waren Forscher davon überzeugt, dass es sie gar nicht gibt: neuronale Stammzellen, die für die Regeneration im Gehirn sorgen. Inzwischen wurden diese Zellen bei allen Säugetieren nachgewiesen. Sie kommen vorwiegend in zwei definierten Bereichen des Gehirns vor: Im Hippocampus, wo sie bei der Gedächtnisbildung eine zentrale Rolle spielen, sowie in der subventrikulären Zone, dem größten Reservoir neuronaler Stammzellen beim erwachsenen Tier.

Die Stammzellen der subventrikulären Zone gelten als die Quelle der Gehirn-Regeneration. Sie sind keine einheitliche Zellpopulation. Wissenschaftler haben Hinweise darauf, dass sie bereits mit einer „Bestimmung“ versehen sind, unterschiedliche Entwicklungswege zu nehmen und zu verschiedenartigen Typen von Nervenzellen ausdifferenzieren können.

„Besonders interessiert uns, wie wir Stammzellen nach einer Hirnschädigung dazu bringen können, das geschädigte Gewebe zu regenerieren. Wir wollten wissen, ob es molekulare Merkmale gibt, die solche Stammzellen mit regenerativem Potenzial kennzeichnen“, sagt Ana Martin-Villalba aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum.

Enric Llorens-Bobadilla und Sheng Zhao aus Martin-Villalbas Abteilung erstellten nun ein molekulares Profil der neuronalen Stammzellen aus dem Gehirn von Mäusen. Dazu sequenzierten sie die gesamte RNA einzelner Stammzellen, also die Abschriften aller Gene, die in diesen Zellen aktiv sind.

Die Wissenschaftler entdeckten dabei, dass sich die neuronalen Stammzellen in verschiedenen Aktivierungsstadien befanden: Neben schlafenden und teilungsaktiven Stammzellen fanden sie auch Übergangsformen, die bereits aus dem Schlaf „geweckt“ waren, aber noch keine Teilungsaktivität aufgenommen hatten.

Das charakteristische Merkmal der schlafenden neuronalen Stammzellen ist ihre extrem reduzierte Proteinsynthese. Je aktiver die Zellen sind, desto mehr Proteine synthetisieren sie und desto mehr drosseln sie ihren Zuckerstoffwechsel. Parallel dazu steigern diese Zellen die Produktion an Transkriptionsfaktoren, die entscheidend sind für die Differenzierung zu bestimmten Zelltypen.

Um herauszufinden, wie die neuronalen Stammzellen auf Hirnverletzungen reagieren, lösten die Forscher bei Mäusen experimentell eine Mangeldurchblutung im Gehirn aus, bevor sie die Stammzellen isolierten. Die Analyse einzelner Zellen ergab, dass nicht alle neuronalen Stammzellen auf die Sauerstoff-Unterversorgung reagieren. Nur eine bestimmte Subpopulation der schlafenden Stammzellen ging in einen „aufgeweckten Ruhezustand“ über. Dies ging einher mit Aktivierung der Protein-Synthese und der Zellzyklus-Kontroll-Gene.

Nun suchten die Forscher nach dem Botenstoff, der den Stammzellen das Sauerstoffmangel-bedingte Aktivierungssignal übermittelt. Es stellte sich heraus, dass Interferon gamma den Notfall signalisiert. Das Signalmolekül wirkt wie ein Wecker, der bestimmte neuronale Stammzellen aus ihrem tiefen Schlaf in einen vor-aktiven Zustand versetzt.

Interessanterweise konnte Marieke Essers bereits vor einigen Jahren zeigen, dass auch schlafende Blutstammzellen durch Interferon alpha, einen verwandten Immunbotenstoff, geweckt werden. Essers forscht im Stammzell-Institut HI-STEM, das vom DKFZ und der Dietmar Hopp Stiftung gemeinsam getragen wird.

„Nach Verletzungen oder bei vielen neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson geht es darum, geschädigtes Hirngewebe durch neue, funktionsfähige Nervenzellen zu ersetzen“, sagt Ana Martin-Villalba. Auch im gesunden Gehirn entstehen ständig neue Nervenzellen - allerdings nur ein sehr eingeschränktes Spektrum an Neuronen, die hauptsächlich für das Riechen zuständig sind oder neue Verbindungen im Hippokampus schaffen. Interferon gamma dagegen regt eine bestimmte Gruppe von Stammzellen dazu an, sich zu einer Vielzahl an Nervenzellen auszudifferenzieren, die unterschiedliche Aufgaben übernehmen können. „Mit dem Wecker Interferon gamma lassen sich möglicherweise gezielt Regenerationsprozesse im Gehirn anregen, die die Leistungsfähigkeit der Betroffenen wiederherstellen könnten“, spekuliert die Neuroforscherin Martin-Villalba. „Unsere Arbeitsgruppe untersucht nun, wie das gelingen kann.“

Enric Llorens-Bobadilla, Sheng Zhao, Avni Baser, Gonzalo Saiz-Castro, Klara Zwadlo & Ana Martin-Villalba: Single cell transcriptomics reveals a population of dormant neural stem cells that become activated upon brain injury. Cell Stem Cell 2015, DOI: 10.1016/j.stem.2015.07.002

Ein Bild zur Pressemitteilung steht im Internet zur Verfügung unter:
http://www.dkfz.de/de/presse/pressemitteilungen/2015/bilder/MAX_aNSC.jpg

Legende: Die Hirnstammzellen entwickelten sich zu Interneuronen (lila), die in das Riechzentrum eingewandert sind.

Quelle: Ana Martin-Villalba, DKFZ

Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, Interessierte und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.

Um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Patientinnen und Patienten zu verbessern, betreibt das DKFZ gemeinsam mit exzellenten Universitätskliniken und Forschungseinrichtungen in ganz Deutschland Translationszentren:

  • Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT, 6 Standorte)
  • Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK, 8 Standorte)
  • Hopp-Kindertumorzentrum (KiTZ) Heidelberg
  • Helmholtz-Institut für translationale Onkologie (HI-TRON) Mainz – ein Helmholtz-Institut des DKFZ
  • DKFZ-Hector Krebsinstitut an der Universitätsmedizin Mannheim
  • Nationales Krebspräventionszentrum (gemeinsam mit der Deutschen Krebshilfe)
Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.

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