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Viagra gegen schwarzen Hautkrebs

Nr. 60 | 08.11.2011 | von Koh

Viele Tumoren rufen chronische Entzündungen hervor, die wiederum die gezielten Angriffe des Immunsystems gegen den Krebs unterdrücken. Wissenschaftler im Deutschen Krebsforschungszentrum und der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg zeigten nun an melanomkranken Mäusen, dass der Wirkstoff Sildenafil – besser bekannt unter dem Handelsnamen Viagra® – die Hemmung der spezifischen Immunabwehr aufhebt. Krebskranke Mäuse, die mit dem Medikament behandelt wurden, überlebten mehr als doppelt so lange wie unbehandelte Artgenossen.

mds-Zellen (myeloid derived suppressor cells) unterdrücken die krebsspezifische Immunreaktion
© Dr. Alexandra Sevko, Deutsches Krebsforschungszentrum

Zunächst klingt es nach einer guten Nachricht: Das körpereigene Immunsystem tritt fast bei jeder Krebserkrankung in Aktion – leider aber nicht unbedingt zugunsten des Patienten. „Wir unterscheiden zwei verschiedene Immunreaktionen“, sagt Professor Dr. Viktor Umansky, Immunologe am Deutschen Krebsforschungszentrum und an der Universitätsmedizin Mannheim: „Auf der einen Seite greifen Zellen des Immunsystems Tumorzellen gezielt an. Auf der anderen Seite dagegen ruft fast jeder Krebsherd in seiner Umgebung eine chronische entzündliche Immunreaktion hervor, die die gezielte krebsspezifische Immunabwehr unterdrückt.“

Bei entzündlichen Immunreaktionen wandern bestimmte Abwehrzellen in die Umgebung des Tumors und setzen charakteristische Immunbotenstoffe frei. „Unser Ziel ist es, die chronischen Entzündungen einzudämmen und damit das Immunsystem dabei zu unterstützen, den Krebs aktiv zu bekämpfen“, erläutert Umansky.

Er und sein Team untersuchten nun die chronische Entzündung, die der schwarze Hautkrebs, das Melanom, hervorruft. Dazu arbeiteten sie mit Mäusen, die aufgrund einer genetischen Veränderung spontan Hautkrebs entwickeln, der dem Melanom des Menschen sehr ähnlich ist. In der Umgebung der Tumoren sowie in den von Metastasen befallenen Lymphknoten der Tiere wiesen die Forscher entzündliche Botenstoffe wie etwa Interleukin-1-β oder Interferon-γ nach. Die Immunbotenstoffe locken so genannten mds-Zellen („myeloid derived suppressor cells“) an. Diese Immunzellen sind dafür bekannt, dass sie die wichtigsten krebsspezifischen Akteure des Immunsystems, die T-Zellen, unterdrücken.

Was genau geschieht, wenn T-Zellen unter den Einfluss der mds-Zellen geraten? Brachten die Wissenschaftler mds-Zellen in der Kulturschale mit T-Zellen aus der Milz einer gesunden Maus in Kontakt, so stellten diese ihr Wachstum ein. Außerdem drosselten die T-Zellen die Menge eines wichtigen Aktivierungsmoleküls. „Das zeigt uns, dass die krebsspezifischen T-Zellen tatsächlich aktiv von den mds-Zellen unterdrückt werden“, erläutert der Forscher das Ergebnis.

Die hautkrebskranken Mäuse erhielten daraufhin den Wirkstoff Sildenafil. Diese Substanz, besser bekannt unter dem Handelsnamen Viagra®, hatte in experimentellen Tiermodellen schon mehrfach die Immunabwehr gegen Tumoren verbessert. Von den Mäusen, die den Wirkstoff mit dem Trinkwasser erhielten, lebten nach rund sieben Wochen mehr als doppelt so viele wie von ihren untherapierten Artgenossen. In den behandelten Tieren hatte sich tatsächlich sowohl die Anzahl der krebsspezifischen T-Zellen als auch die Menge der Aktivierungsmoleküle wieder normalisiert – Sildenafil neutralisiert also erfolgreich die chronische Entzündung in der Umgebung des Melanoms und bekämpft die immunsupprimierende Wirkung der mds-Zellen.

„Das Besondere an unserem Forschungsansatz ist, dass die Erkrankung der Mäuse klinisch sehr ähnlich verläuft wie das Melanom beim Menschen“, erklärt Viktor Umansky die medizinische Relevanz seiner Ergebnisse. „Daher ist es sehr gut möglich, dass Sildenafil auch bei melanomkranken Menschen die immunsupprimierenden Effekte der Entzündung unterdrücken und so die Immunabwehr gegen den Krebs verbessern kann. So könnte das Medikament dazu beitragen, schwarzen Hautkrebs erfolgreicher zu behandeln.“

Ein Bild zur Pressemitteilung steht im Internet zur Verfügung unter:
http://www.dkfz.de/de/presse/pressemitteilungen/2011/images/MDSC.jpg

Quelle: Dr. Alexandra Sevko, Deutsches Krebsforschungszentrum

Legende: mds-Zellen (myeloid derived suppressor cells) unterdrücken die krebsspezifische Immunreaktion

Christiane Meyer, Alexandra Sevko, Marcel Ramacher, Alexandr V. Bazhin, Christine S. Falk, Wolfram Osen, Ivan Borrello, Masashi Kato, Dirk Schadendorf, Michal Baniyash und Viktor Umansky: Chronic inflammation promotes myeloid-derived suppressor cell activation blocking antitumor immunity in transgenic mouse melanoma model. Proceedings of the National Academy of Science (PNAS) USA, 2011; DOI: 10.1073/pnas.1108121108

Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, Interessierte und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.

Um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Patientinnen und Patienten zu verbessern, betreibt das DKFZ gemeinsam mit exzellenten Universitätskliniken und Forschungseinrichtungen in ganz Deutschland Translationszentren:

  • Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT, 6 Standorte)
  • Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK, 8 Standorte)
  • Hopp-Kindertumorzentrum (KiTZ) Heidelberg
  • Helmholtz-Institut für translationale Onkologie (HI-TRON) Mainz – ein Helmholtz-Institut des DKFZ
  • DKFZ-Hector Krebsinstitut an der Universitätsmedizin Mannheim
  • Nationales Krebspräventionszentrum (gemeinsam mit der Deutschen Krebshilfe)
Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.

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